Gestern war ich am Saarbrücker Flughafen, um meinen Pasta-Rosanero-Kollegen David abzuholen. Während ich eine Weile in der menschenleeren Halle des überschaubaren Airports wartete, fiel mir in der Ferne ein merkwürdiger Gegenstand auf dem Boden auf. Ich näherte mich ihm und hob ihn auf. Es war ein Tagebuch. Als ich vorsichtig darin blätterte, stellte ich fest, dass ich die Memoiren des saarländischen Fußballspielers Marco Dittgen in Händen hielt. Der erste Saarländer, der für Palermo spielte!
Die Pasta-Rosanero-Redaktion stellt euch in diesem Artikel einige Auszüge aus seinem ganz persönlichen Tagebuch vor.
Auf den ersten Blick fiel mir nur der verblasste Schriftzug „Schreibwaren Konrad / 66346 Püttlingen“ auf der Rückseite des kleinen Büchleins auf. Doch je länger ich es betrachtete, desto mehr ergriff mich ein Gefühl von Ehrfurcht. Mir wurde klar, dass dieses unscheinbare Buch ein historisches Juwel war, voller Geschichten und Geheimnisse. Bald sollte sich zeigen, dass es ein Schatz an Erinnerungen und Abenteuern barg. Hier einige Auszüge.
KAISERSLAUTERN, 19. August 1993
Heute feiere ich meinen 19. Geburtstag, und ich kann kaum glauben, wie sich mein Leben in den letzten Wochen entwickelt hat. (…) Es fühlt sich wie gestern an, als ich noch als kleiner Junge auf den Bolzplätzen von Püttlingen kickte und davon träumte, eines Tages in einem großen Stadion zu spielen. Jetzt bin ich tatsächlich ein Teil des 1. FC Kaiserslautern.
KAISERSLAUTERN, 2. November 1993
Vor zwei Jahren haben diese Jungs die Deutsche Meisterschaft gewonnen, und jetzt trainiere ich jeden Tag mit ihnen. Mein Vorbild Stefan Kuntz, Weltmeister Andy Brehme – unglaublich. Diese Spieler nicht nur im Fernsehen zu sehen, sondern Seite an Seite mit ihnen zu trainieren, ist unbeschreiblich.
KAISERSLAUTERN, 5. September 1994
(…) Kaum hat die neue Saison 1994/95 begonnen, schon sitze ich wieder nur auf der Bank. Ich brauch e neuer Verein! Hann grad aach Huddel mim Dauerschreiwer (Anm. d. Red.: Mein Kugelschreiber gibt gerade den Geist auf).
SAARBRÜCKEN, 24. Dezember 1994
Endlich widder dehemm! Frohe Weihnachten. Heute Morgen war ich mit meinen Freunden in Saarbrücken, am St. Johanner Markt unterwegs – eine kleine Pause, bevor das nächste Kapitel beginnt. Es ist schon ein bisschen verrückt, dass ich bald nach Dresden ziehen werde. (…) Ich freue mich darauf. Vor allem, weil der Coach Horst Hrubesch mich unbedingt in seinem Team haben möchte.

DRESDEN, 1. Januar 1995
Heute ist mein erster Tag bei Dynamo Dresden. Hrubesch hat mich herzlich empfangen, und mir klargemacht, dass er große Pläne für mich hat. Er sieht in mir den Mittelstürmer, der der Mannschaft den nötigen Schwung geben kann. Es fühlt sich gut an, gebraucht zu werden. Die einzig große Herausforderung, die ich im Moment nur sehe, ist der sächsische Dialekt!
DRESDEN, 27. Mai 1995
Heute war unser letztes Spiel in dieser Saison, und es ist vorbei – wir sind abgestiegen. Wir haben bis zum Schluss gekämpft, aber es hat einfach nicht gereicht. Die Fans sind enttäuscht, und ich kann es ihnen nicht verdenken. (…) Es ist Zeit, weiterzuziehen. Dresden hat mir viel gegeben, aber ich brauche einen Neuanfang.

BERN, 15. Juni 1995
Ich habe heute meinen Vertrag bei den Young Boys Bern unterschrieben. Ein neues Kapitel beginnt in der Schweiz, und ich bin entschlossen, es besser zu machen als in Dresden. Die letzten Monate waren eine harte Lektion, aber ich habe viel gelernt. Jetzt blicke ich nach vorne – auf eine neue Stadt, ein neues Team und neue Herausforderungen. Bern fühlt sich jetzt schon richtig an. Ich werde alles geben, um mich hier durchzusetzen und das Beste aus dieser Chance zu machen.
BERN, 1. Juni 1996
Ich hann die Flemm. Die Saison ist zu Ende. Der Abstieg ist besiegelt. Es ist schwer, nach vorne zu blicken, aber ich weiß, dass es weitergehen muss. Für mich persönlich ist es eine der härtesten Phasen meiner Karriere. Immerhin habe ich mit 33 Spielen und 13 Toren gezeigt, was ich draufhabe. Trotzdem vermisse ich hier meinen Schwenker.
ST. GALLEN, 1. Juli 1996
Ein neues Kapitel beginnt. Nun bin ich beim FC St. Gallen gelandet. St. Gallen ist kleiner, aber der Verein hat eine stolze Tradition. Die Fans hier sind leidenschaftlich, und ich spüre bereits, dass viel von uns erwartet wird. Alláa dann!
ST. GALLEN, 1. Mai 1997
Ich glaub, es ist wieder Zeit weiter zu ziehen. Leider nur 15 Mal gespielt und 4 Tore geschossen. Jetzt gibt’s e kalti „Dicki“. Proschd.
PALERMO, Juli 1997
Bella Italia! Ich bin endlich in Palermo angekommen! Der Transfer war komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war mir sicher, dass alles glatt laufen würde, aber scheinbar gab es einige bürokratische Probleme. Der Verein versichert mir, dass alles in Ordnung sei, aber ich habe gehört, dass sich jetzt auch noch die FIFA eingeschaltet hat. Was geht dann do ab? Ich versuche, mich nicht ablenken zu lassen und konzentriere mich auf die Vorbereitung. Übrigens: Palermo hat e geiles Trikot!
PALERMO, 16. August 1997
Ist das so heiß… Die Saisonvorbereitung ist intensiv. Das Training unter der sizilianischen Sonne ist eine Herausforderung besonderer Art. Die Sprache ist auch noch ein Problem, aber auf dem Platz verstehe ich mich mit den Jungs ganz gut, obwohl fast jedes zweite Wort entweder aus KATZO oder MIN KIA besteht. Kä Ahnung, was das bedeutet.
PALERMO, 7. September 1997
Die Rosanero-Fans erwarten viel von uns, und ich möchte unbedingt zeigen, dass ich dem gewachsen bin. Das Ziel ist ganz klar: der Aufstieg in die zweite Liga. Mache im Moment Sondertraining. Der Mister (italienisch für Trainer) will, dass ich meine Technik und Timing im Kopfballspiel verbessere. Ich geb‘ alles.
PS: Unser Silberrücken und Mannschaftskapitän Roberto Biffi muss nur mit den Augen zucken, und schon kuschen alle. Geiler Typ!
PALERMO, Januar 1997
Beim Versuch, in meinen Garten in Mondello ein paar Rosen zu schneiden, hat mir ein Dornenzweig ins Auge gestochen. Der Arzt hat mich sofort aus dem Verkehr gezogen, und ich muss nun einige Spiele pausieren. Die Presse hat sich natürlich darauf gestürzt – „Der Panzer von einer Rose KO gesetzt“, titelte die Tageszeitung La Repubblica. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal wegen Gartenarbeit Schlagzeilen machen würde. (…) Der Vorfall mit meinem Auge hat mich gezwungen, eine Pause vom Fußball einzulegen, aber er hat mir auch die Gelegenheit gegeben, mehr Zeit in der Stadt zu verbringen.
PALERMO, 31. Mai 1998
Ich habe mich entschieden, Sizilien zu verlassen. Die Zeit in Palermo war eine Prüfung – sportlich und menschlich. Doch trotz allem bin ich stolz darauf, dass ich als erster Saarländer bei der US Palermo spielen und die Altstadt kennenlernen durfte. Was das Essen betrifft, bin ich im Paradies gelandet. Ich habe mich sofort in die Arancini verliebt. (…) Auch Pasta alla Norma und Caponata sind unglaublich lecker. Die Palermitaner verstehen es wirklich, Essen zu einem Erlebnis zu machen. Inzwischen habe ich mich auch an den Geschmack von Panelle gewöhnt – frittierte Kichererbsenfladen, die gerne am Gaumen hängen bleiben, wenn man sie zu heiß isst.
SAARBRÜCKEN, 23. Juni 1998
Boah, hann ich kalt do in Saarbrigge. Bin das Wetter gar net mehr gewöhnt. Heut gabs Gefillde mit Sauerkraut und Speckrahmsauce. War kä guddi Idee…
LEIPZIG, 29. Juli 1998
Offensichtlich hab ich in Sachsen Eindruck hinterlassen. Der 1. FC Lokomotive Leipzig hat mich unter Vertrag genommen. Ist zwar nur die Regionalliga, aber wir wollen aufsteigen.
LEIPZIG, 30. November 1998
Musste heute mal Dampf ablassen. In der Mannschaft spielt ein 17-Jähriger, der meine Fußballschuhe geil findet. „Horsche mol, Fritzje“, hab ich ihm gesagt, „behall dei Flosse bei dir und geh dir dei eigene Diadora-Schuhe kaafe“. Ich glaube, dass er mich nicht verstanden hat. Nää nää nää, de Clemens Fritz, der Freckert, aus dem kann nix werden.
LEIPZIG, 6. Juni 1999
Oleg, leider am Ende der Saison nur den 2. Platz belegt. Was macht man in diesem Fall? Genau, ich wechsele zum Erstplatzierten. Unn Tschüss, Leipzig! Auf geht’s nach Chemnitz in die zweite Bundesliga.
CHEMNITZ, 28. Juli 1999
Geil, sogar Ablöse hat der Verein für mich bezahlt. Mol gugge, was ich hier reißen werde.
MANNHEIM, Mai 2001
Nach 1,5 Jahren in Chemnitz war es in der Rückrunde 2000/01 wieder Zeit mei Tasch zu pagge in Richtung Waldhof Mannheim. (…) In Erinnerung ist mir hier insbesondere das Spiel gegen den 1.FC Saarbrücken geblieben, wo ein gewisser Sambo Choji die Saarbrigger zum Derbysieg führte.
ERFURT, Februar 2002
Hallo liebes Tagebuch. Ich melde mich mal seit Längerem. Ich habe eine neue Leidenschaft für die klassische deutsche Literatur entdeckt. Wann immer es meine Zeit in Erfurt zulässt, mache ich einen Abstecher ins nur 20 Minuten entfernte Weimar, um auf den Spuren von Goethe und Schiller zu wandeln. Meine Fußballer-Karriere hier in Erfurt nimmt leider nicht mehr so viel Fahrt auf. Neulich habe ich trotzdem einen Anruf von Frank Holzer erhalten. Der Präsident vom Ligakonkurrenten SV Elversberg will mich unbedingt in seiner Mannschaft haben. Ich sagte ihm: „Lieber wechsele ich zu Borussia Spiesen!“
VÖLKLINGEN, August 2002
Bin nun zurück ins geliebte Saarland zu Röchling Völklingen (für was steht eigentlich das Röchling???). Zwar nur Oberliga, aber hier haben sie wenigstens Saarbrücker Bruch-Bier. Proschd.
KUTZHOF, Mai 2005
Bin seit einigen Monaten in irgendeinem Kuhdorf in Heusweiler gelandet. Egal, die bezahlen hier gut. Haben übrigens neulich den Saarlandpokal gewonnen. Da gabs vom Vorstand 100 Liter Freibier. (…) Einer der Mitspieler geht mir die ganze Zeit auf die Nerven, weil er für seinen Cousin Miro Klose ein Autogramm von mir haben möchte. Kann er vergessen!
Beim Lesen der letzten Zeilen von Marco Dittgens Erlebnissen überkam uns ein Gefühl der Melancholie. Es war, als hätten wir nicht nur in sein Leben, sondern auch in seine Seele geblickt. Was dieser Mann erlebt hat! So viele Vereine, so viele Ligen – von kleinen Plätzen im Saarland bis zu großen Stadien. Beeindruckend, dass er offenbar mit 50 Jahren immer noch Spaß am Kicken hat und zeigt, dass Leidenschaft keine Altersgrenze kennt. Die Seiten seines Tagebuchs mögen sich schließen, doch die Erinnerungen an seine Einblicke bleiben.
Lieber Marco, falls du unseren Satire-Artikel gelesen haben solltest, dann hoffen wir, dass er dich wenigstens ein bisschen amüsiert hat. Hättest du eigentlich Bock auf ein gemeinsames Interview mit uns? Falls du Interesse hast, kannst du uns einfach eine kurze Nachricht schicken. Das obige Panini-Bild steht bereit, um von dir signiert zu werden.
Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag wünscht dir die Redaktion von Pasta Rosanero!